Dienstag, 18. Juni 2019

Zwischenbericht Nr. 49

Schon über einen Monat ist es her, dass ich einen Zwischenbericht geschrieben habe und genau genommen bin ich mir gar nicht sicher, was ich so zu erzählen habe. Momentan erlebe ich unglaublich viel und ich liebe es. Ich habe endlich wieder das Gefühl zu leben. Am Montag war ich beim Arzt für einen Bluttest und wenn der gut ist, dann kann ich meine alten Medikamente wieder nehmen, was bedeutet, dass ich keine Schmerzen und allergische Reaktionen mehr hätte. Gesundheitlich geht es mir also langsam immer besser. Natürlich habe ich noch mit einigen Auswirkungen der Chemos und auch der Bestrahlungen zu kämpfen, aber es wird immer besser. Wie sagt man so schön, ich bin auf dem aufsteigenden Ast. Gerade der letzte Monat hat mir einiges aufgezeigt und zwar, dass ich meine Freiheit wieder habe. Wenn man an Krebs erkrankt, dann hat man gefühlt keine Freiheit mehr über den eigenen Körper. Man übergibt sich der Medizin. Der Körper macht sowieso nicht mehr das, was man gerne möchte, weil er so vollgepumpt ist, aber es gibt auch so viele Regeln, die eingehalten werden müssen. Pass bloß auf dich auf! Esse keinen Salat mehr, gehe nicht unter Leute, gehe nicht schwimmen, dusche nicht zu lang, halte genau die Zeiten ein, schminke dich nicht, spiele nicht mit deiner Katze, küsse niemanden, lass dich nicht tätowieren. Irgendwo anders übernachten? Träum weiter! Wie denn, wenn du dir die Seele aus dem Leib kotzt.

Ihr wisst ja, dass ich während der Chemos um die 37 Kilo zugenommen habe und mittlerweile sind 30 Kilo davon schon wieder runter. 7 - 10 Kilo möchte ich noch verlieren, aber ich bin auf einem guten Weg. Mühsam und langsam wird das. Mittlerweile zähle ich auch keine Kalorien mehr, sondern esse einfach worauf ich Lust habe, denn ich esse unter normalen Umständen nicht sehr viel. Mein Hungergefühl ist wieder da und mein Körper sagt mir schon, wenn er etwas braucht. Es ist schön dieses Körpergefühl wieder zu haben. Manchmal deute ich seine Zeichen nicht ganz richtig, aber das wird sich mit der Zeit geben.

Wenn man unzufrieden mit seinem Gewicht ist, dann sieht das mit den Kleidungsstücken auch eher schwierig aus. Mit der Thrombose-Strumpfhose konnte ich auch nicht alles tragen. Mit meiner amputierten Brust sieht auch alles asymmetrisch aus. Anziehen zum rausgehen? Eher ein Kampf, als eine Freude. Und wie sieht es jetzt aus? Mit 30 Kilo weniger fühle ich mich wohler und mit den Einlegepads, die ich zusammen mit einem Body trage, damit alles da bleibt wo es hin soll, funktioniert es hervorragend. Ich ziehe gerne Kleider an und mache mich schick. Meine alten Ketten, die so eng am Hals liegen passen wieder, weil mein Gesicht nicht mehr vom Kortison aufgedunsen ist.

Da ist aber immer noch der Selbstwert, der einen einredet, dass man bestimmte Sachen nicht tragen sollte. Lange Geschichte, kurz erzählt - ich habe mir ein Dirndl bestellt. Mein Freund kommt aus Bayern und man muss sich schließlich anpassen. Scherz beiseite. Ich dachte nie, dass ich mal tatsächlich ein Dirndl und auch einen Badeanzug in meinem Leben kaufen werde. Schwimmen gehen ohne Pads? Zum Glück gibt es Schwimmkleider mit Polsterung. Aber das ist gar nicht der Knackpunkt, denn man sieht es ja trotzdem, genauso wie meine Narben. Und das ist mir fast scheißegal. Mein Freund gibt mir das Gefühl die schönste Frau in diesem Universum zu sein und deswegen werde ich dieses Jahr zum ersten Mal seit über 10 Jahren schwimmen gehen.

Endlich konnte ich mir eine neue Brille machen lassen, weil die Chemos abgeschlossen sind und mein Sichtfeld nicht dadurch mehr eingeschränkt wird. Zeichnen und Gitarre spielen ist immer noch schwierig wegen den Nervenschäden in den Fingerspitzen.

Als das alles anfing mit meiner Krebserkrankung, da schrieb jemand auf Twitter, dass ich ein Drachenblut wäre, ein Dovahkiin, weil ich so kämpfen würde. Seit diesem Zeitpunkt reifte in mir die Idee mir genau dieses Wort auf den Arm tätowieren zu lassen, wenn ich alles überstanden habe. Wer mir auf Twitter und Instagram folgt, wird es schon gesehen haben, dass in den Drachenrunen jetzt Dovahkiin auf meinem Arm bis in alle Ewigkeit steht. Keine Angst, zu dem Zeitpunkt habe ich noch keine Blutverdünner genommen, die ich jetzt prophylaktisch habe.

Dadurch muss ich etwas aufpassen, wenn ich mich verletzen könnte. Skateboard fahren bitte nur mit Schützern an allen Stellen, die in Mitleidenschaft gezogen werden können. Beim Beine rasieren eine neue Klinge nehmen und nicht so stark aufdrücken. Mit meinem Kater darf ich spielen, aber ich muss aufpassen, wenn er seine Krallen ausfährt. Ihr versteht was ich meine.

Medikamente sind ein gutes Stichwort. Anfang Mai habe ich an einem Tag einfach beschlossen die Nacht nicht zuhause zu verbringen. Ich packte meine Zahnbürste, ein frischen Shirt und meine zwei Medikamente ein und das wars. Ich habe die Freiheit wieder genau das zu tun. Möchte ich in einer Stunde für eine Woche nach Bayern fahren, dann kann ich das. So einfach ist das.

Ich kann essen, was ich möchte. Ich kann schlafen, wo ich möchte. Ich kann mich anziehen, wie ich möchte. Ich kann unternehmen, was ich möchte. Ich kann so ziemlich tun und lassen, was ich möchte. Und das ist unglaublich cool. Genießt eure Freiheit und gehabt euch wohl.