Gespielte Plattform: Switch, PS4, Xbox One
Publisher: Sega
Developer: Sega
USK: Freigeben ab 6 Jahren
Release: 15. August 2017
Spielzeit: 50 Stunden
Das passiert mir heutzutage leider viel zu selten: ich warte sehnsüchtig bis Mitternacht auf den Release eines Spiels, um frühstmöglich den Download zu starten und die halbe Nacht durch Loopings zu flitzen, Ringe aufzusammeln und Dr. Eggmans Schergen in die Schranken zu weisen. Fast so wie mein aufgeregtes siebenjähriges Ich, das an Heiligabend ungeduldig im Kinderzimmer auf und ab läuft, bis endlich die Glocke des Christkinds läutet, hastig die Treppe hinunter stürmt und voller Vorfreude das Sega Mega Drive vom Geschenkpapier befreit. Sonic Mania ist nicht nur die Wiedergeburt eines klassisch-perfekten Spielgefühls, das im Sonic Franchise in den letzten Jahrzehnten mit den gescheiterten 3D-Experimente und schwammigen HD-Remakes nie mehr erreicht wurde, es ist gleichzeitig ein Remake meiner Kindheitserinnerungen.
Dabei ist Sonic Mania ja kein Remake per se. Es handelt sich hier um einen neuen Sonic Titel, der das Look-and-Feel der klassischen 2D-Platformer der Sega-Mega-Drive-Ära übernimmt, um neue flüssigere Animationen und Spezialeffekte erweitert und mit einem Mix aus bekannten und brandneuen Leveln ein geballtes Rund-Um-Sorglos-Paket schnürt. Statt Remake würde ich eher den Begriff „Re-Mix“ verwenden. Denn was das Entwicklerteam, das selbst aus den wahrscheinlich größten „Sonic Manias“ der Welt besteht, hier geschaffen hat, ist ein Sonic-Best-of-Album mit allerhand Extended-Versionen, Neuinterpretationen und Bonus-Tracks. Doch lasst mich erst einmal versuchen zu erklären, was ein Sonic-Spiel überhaupt ausmacht. Und was nicht.
Natürlich gilt es auch in Sonic Mania, den diabolischen Dr. Robotnik (ich weigere mich weiterhin, ihn Eggman zu nennen) davon abzuhalten, die Weltherrschaft an sich zu reißen, Tiere in willenlose Roboter zu transformieren und mit den Chaos-Emeralds und Zeitkristallen für allerhand „Chaos“ zu sorgen. Wer möchte, kann sich da jetzt noch tiefer in die Story vergraben und die Handlungsstränge mit dem fast parallel erschienenen Sonic Forces verbinden… oder am besten einfach losrennen. Denn das ist das Wichtigste in einem Sonic-Spiel: Losrennen, Momentum aufnehmen, sich einrollen (nicht ein-Igeln) und in einen Geschwindigkeitsrausch und Flow zu kommen, für den Sonic in seinen besten Jahren stand.
Wird Sonic durch Gegner, Stacheln oder steile Rampen gebremst, kann er mit dem berühmten Spin-Dash schnell wieder Fahrt aufnehmen. Und genau so funktioniert Sonic: wer einen Sonic-Titel wie einen gemächlichen Plattformer spielt, wie beispielsweise einen Mario- oder Rayman-Titel, der wird sich über das träge Anlaufnehmen von Sonic ärgern oder über schwer kontrollierbare Plattform-Sequenzen. Diese machen erst wieder Sinn, wenn der Turbo-Igel seine Laufschuhe ordentlich zum qualmen bringt und durch die wirren und irren Levelkonstruktionen schießt wie eine Flipperkugel durch Bumper, Korkenzieher und Turbotunnel. Die Level bieten viele verschiedene Wege und Ebenen, von denen man selbst nach mehrmaligem Durchspielen noch nicht alle gesehen hat. Je nachdem, wie flüssig Sonic durch den Level gleitet, steigt auch der Spielspaß. Dazu kommen die herrlich bunte und saubere Pixelgrafik und der treibende Soundtrack, der mit den ordentlich aufgebohrten Original-Tracks aus der Megadrive-Ära mal wieder absolutes Ohrwurm-Potential erreicht.
Dieser Mischung konnte ich mich schon als Kind nicht entziehen - und heute fühle ich mich dank der liebevollen Umsetzung dieser Mechaniken mit Sonic Mania auch wieder pudelwohl in Green-Hill oder Hydro-City und habe ein Dauergrinsen im Gesicht. Die Leveldesigns sind sowohl spielerisch als auch vom Look her äußerst abwechslungsreich: Wir kugeln uns mit Sonic durch ineinander verschlungene Röhren einer Chemiefabrik, lassen uns von den Fernsehantennen eines Filmstudios durch die Lüfte schießen und flippern uns durch verfallene Saloons im Wilden Westen. Alles ist hier so stimmig und greift so perfekt ineinander, als hätte es einige der Ausrutscher in die 3. Dimension nie gegeben… als wäre jemand mit einer Zeitmaschine 20 Jahre zurück gereist und hätte den Entwicklern den künftigen Werdegang des Igels als dunklen Pfad in der Videospielgeschichte aufgezeigt und so die Zeitlinie umgeschrieben. Das Sonic-Mania-Team hat ganz genau verstanden, wie das fast schon eigene Genre „Sonic“ funktioniert. Und ich möchte immer wieder darin abtauchen und meine Skills auf die Probe stellen.
Denn kommt Sonic eleganter durch die Level, erreicht er auf einmal höher gelegene Plattformen, bricht durch Wände und legt ganz neue spielbare Abschnitte frei, was auch den Wiederspielwert enorm steigert. Wer erstmal das grundlegende Spielgefühl verstanden und verinnerlicht hat, versucht sich an einem noch flüssigeren Durchspielen, an schnelleren Bestzeiten oder an den versteckten Bonusstages: hier darf Sonic über von Fallen gespickte Rennstrecken oder rotierende Planeten flitzen und der Spieler mit einer pseudo-3d-Optik kämpfen, die an eine 16Bit Tech-Demo erinnert. Doch genau wie Anfang der 90-iger gibt es den wahren Ending-Screen nur dann zu sehen, wenn auch diese Herausforderungen gemeistert wurden. Okay, auf dem Papier ist Sonic Mania also ein Werk, das sich wie „damals“ spielt, anfühlt, aussieht und in Teilen aus Inhalten von damals besteht. Warum nicht einfach die klassischen Teile zocken?
Weil Sonic Mania in allen Belangen noch einen Schritt weitergeht als das „Quellmaterial“. Wir erleben die klassische Green-Hill-Zone mit den rotierenden Sonnenblumen, saftig grünen Wiesen und Palmen und bekannten Gegnern wie den Roboter-Bienen und Metall-Piranhas… Eine ikonische Sonic-Zone, die sich im ersten Akt noch genau so spielt wie im Ur-Sonic auf dem Mega-Drive, sich aber nach etwa der Hälfte des Levels öffnet und sich mit neuen Spielelementen, halsbrecherischen Geschwindigkeitspassagen und Gegnern aus anderen Sonic-Games zu einem neuen stimmigen Gesamtkunstwerk verbindet. Die Musik schlägt auf einmal neue Akkorde an und der eingefleischte Sonic- und Sega-Fan verfällt dank zahlreicher Zitate, Insider-Gags und Level-Bosse, die auch mal komplett das Genre des Spiels wechseln und mit den Erwartungen der Sonic-Kenner spielen, in einen wohligen Nostalgie-Flash.
Dieser stimmige Mix aus vertrautem Terrain, kreativen Erweiterungen und komplett neuen Leveln zieht sich durch das ganze Spiel, das mit insgesamt zwölf Welten auch noch wesentlich umfangreicher ausfällt als die Original-Teile. Die zahlreichen neu-eingebauten Levelabschnitte und Ideen verwässern nicht das Gameplay, das die ursprünglichen Spiele etabliert haben, sondern erschaffen eine bis auf den letzten Pixel optimierte und verbesserte Form der Originale. Und der Sonic-Neuling, der dieses Werk natürlich nicht durch die Nostalgiebrille betrachten kann, hat hier die Chance, den Power-Igel in seiner bis dato besten Form zu erleben. Ich könnte jetzt noch ewig weiter schwärmen: davon, wie die Neuinterpretation meiner Lieblings-Level für eine wohlige Gänsehaut bei mir gesorgt haben, wie clever die verschiedenen Charaktere und ihre Fähigkeiten im Leveldesign bedacht wurden, wie gut die Mischung aus Hochgeschwindigkeits-Abschnitten und kniffligen Sprung-Passagen geworden ist… aber ich kann nur raten, es einfach selbst auszuprobieren und herauszufinden, ob der Sonic-Funke überspringt.
Ich jedenfalls habe beim Spielen von Sonic Mania seit langem wieder so sehr gestaunt wie mein siebenjähriges Ich, habe mich erneut in den wunderschönen Pixellook verliebt, bin zu diesem stimmungsvollen Soundtrack mitgegangen und hatte das Gefühl, einen Teil meiner Kindheit erneut zu erleben. Also ein Remake meiner Erinnerungen, nicht aufgrund einer aufgebohrten Grafik, sondern aufgrund des wieder-erweckten Gefühls, das man meiner Meinung nach nicht besser hätte einfangen können. Für meinen regelmäßigen Sonic-Jieper muss ich jetzt nicht mehr den alten Mega-Drive entstauben oder die Sega-Mini-Konsole an den Fernseher stöpseln.
Kleiner Tipp für alle, die jetzt Heißhunger bekommen haben: Sonic Mania gibt es als erweiterte „Plus“-Version in einer wunderschönen Retail-Ausgabe, mit neuen Inhalten, Charakteren und einem spannendem alternativen Adventure-Modus, schickem Artbook und Mega-Drive-Wendecover.
Diese Rezension wurde geschrieben von: Max
Fazit
In Sonic-Mania steckt alles drin, was ich an Sonic und Retrogames im Allgemeinen so liebe. Vielen Dank dafür, ihr „Sonic Manias“.