Ihr kennt mich als einen positiven Menschen, der niemals aufgeben würde - ich möchte mich lieber mit Schwert und Schild gegen einen Drachen kämpfen sehen, als als Heulsuse kauernd in der Ecke. Dennoch folgt nun ein etwas anderer Zwischenbericht, als es sonst von mir jemals kommen würde. Er wird triefen vor Negativität und ich kann jeden Leser verstehen, der sich das hier nicht geben möchte. Denn ich werde in diesen Zwischenbericht alle für mich negativen Aspekte meiner Erkrankung schildern. Warum fragt ihr euch? Ich bekomme immer wieder Reaktionen, dass es ja alles nicht so schlimm ist und ich bin selbst daran schuld. Wenn man nicht sagt bzw. zeigt, dass es einem scheiße geht und nur die positiven Seiten herauskehrt, wie sollen Menschen dann die negativen Seiten sehen? Erraten? Wohl kaum. Also macht euch gefasst auf die besagte Negativität, vielleicht hilft es mir ja auch ein Stück mir die Scheiße von der Seele zu schreiben.
Manchmal glaube ich, dass die meisten Menschen davon ausgehen, dass ich den ganzen Tag herumsitze, es mir gut gehen lasse, Videospiele spiele, Serien schaue und was man sonst noch so als Nerd macht. Ohne Witz, ich bekomme sogar Nachrichten, die einen solchen Wortlaut haben. Beschwer dich doch nicht, du kannst den ganzen Tag zocken. Selbst eine meiner Freundinnen sagte mir, dass es doch toll sein muss, dass ich jetzt viele Serien und Filme schauen könnte.
Zugegeben mit den harten Chemos am Anfang, hatte ich tatsächlich immer eine Woche zwischen zwei Wochen, in denen ich mir die Seele aus dem Leib gekotzt habe, in der es mir ganz gut ging. Eine kleine Erholungswoche sozusagen. Die habe ich nicht mehr. Jeden Donnerstag bekomme ich eine Chemo in meinen Körper gejagt - ohne Pause - 12 Wochen. Und soll ich euch mal sagen, wie mein Tag aussieht? Garantiert nicht den ganzen Tag zocken, denn ich kann kein Gamepad mehr halten - ich zittere schon, wenn ich länger als eine Minute ein Buch halte. Ich habe keim Gefühl in meinen Fingern. Normalerweise habe ich Rezensionen auf einem Schulblock geschrieben - geht nicht mehr - ich kann nicht mehr schreiben bzw. nur noch wie ein Schulkind, welches gerade die Buchstaben lernt. Feinmotorik ist nicht. Oft verschütte ich auch mein Wasser, wenn ich es versuche in ein Glas zu gießen - es passiert einfach.
Knochenschmerzen begleiten mich den ganzen Tag - am schlimmsten sind die Beine und die Arme betroffen, ich hatte aber auch schon Kieferschmerzen, als wenn ich richtig eine verpasst bekommen hätte. Meine Beine sind geschwollen und tragen mich nicht mehr. Es gibt Tage, da kann ich nicht die Treppe steigen und selbst der Gang auf die Toilette ist eines der schlimmsten Sachen auf der Welt. Manchmal sind es nur Krämpfe, manchmal fühlt es sich verdreht an und manchmal scheinen die Knochen zu brechen. Und ja, ich habe schon geschrien vor Schmerzen. Ich versuche mich viel zu bewegen in der Hoffnung meine Lymphe zu entlasten, aber nächsten Tag kann ich mich dafür noch weniger bewegen. Ein scheiß Kreislauf. Gamescom - träum weiter. Ich kann noch nicht einmal zur Einschulung meines Patenkindes, weil es mich so erschlagen würde.
Das ich zugenommen habe und aufgedunsen bin vom Kortison, habe ich euch schon mitgeteilt, aber das ist gar nicht so schlimm. Die Bindegewebsstörungen tun etwas weh - die Haut reißt halt. Ich habe mich damit abgefunden, denn das wird sich wieder schnell ändern, wenn ich normal essen kann und die Bewegung wieder stimmt. Essen ist aber auch so ein Thema - es schmeckt nicht. Jedenfalls nicht mehr so gut - alles schmeckt nach Chemo und es brennt. Meine Mundschleimhaut ist halt nicht mehr existent. Heiße Lebensmittel - der Horror! Scharfe Lebensmittel - ach, du scheiße! Sodbrennen bekomme ich auch ständig von Nix! Nur noch mit Plastikgeschirr essen, weil Metall sich wie Blut im Mund anfühlt. Kein Bock auf Essen haben - unregelmäßig essen - essen müssen. Aber ich liebe Früchte und Backwaren mit Früchten - wenigstens das bleibt. Nasenbluten? Mindestens fünfmal täglich. Sodbrennen - wegen nichts.
Sollen wir über Scheiße reden? Nein, wir nennen den Absatz zwischen Verstopfung und Durchfall mit Bauchschmerzen, aber nur für ein bis zwei Tage und ich will mich was das angeht nicht weiter beschweren, den mein Magen ist wohl das einzige, welches noch funktioniert.
Aufmerksamkeit, etwas was mir irgendwie abhanden gekommen ist. Ich habe eine Aufmerksamkeitsspanne von einem Goldfisch. Lese viel und zwinge mich dazu das Buch auch zu verstehen - Artikel im Internet - kaum zu lesen, denn ich kann mich an den Anfang schon nicht mehr erinnern. Serien schauen? Filme schauen? Mit Notizen in Kinderhandschrift oder jemanden, der mir die Handlung erklärt. Wie war das nochmal? Meine Gedanken sind dickflüssig wie Sirup und manchmal ungeordnet wie ein Wollknäul. Es ist unglaublich anstrengend sie an manchen Tagen zu ordnen. Oft habe ich wie Fieberträume - schlafen ist sowieso eine unmögliche Sache - mehr als vier Stunden sind nicht drin und die mit Unterbrechungen. Gespräche folgen? Unglaublich anstrengend.
Schwitzen - immer. Selbst bei 20 Grad und Regen ohne Gänsehaut draußen stehen können. Naja, erlaubt ist das nicht, denn ich muss auf mich aufpassen - keine Menschensammlungen, weil Keime, also auch nicht im Regen stehen und sich eine Erkältung einhandeln. Am Chemo- Tag ist es am schlimmsten mit dem Schwitzen. Viel Trinken hilft - mein Rekord ist 6 Liter an einem Tag. Wisst ihr wie oft man da auf die Toilette muss? Die Zahl ist zweistellig!
Fatigue-Syndrom - hört sich komisch an und ist schrecklich. Es ist eine Art Erschöpfungssyndrom, welches oft bei Krebspatienten auftauchen kann - daher kommt wahrscheinlich auch meine Konzentrationsschwäche. Was soll man sagen - Kraftlosigkeit, Antriebslosigkeit und das mischt sich bei mir noch schön mit Depressionen. Begeisterung für eine Sache - Freude bei etwas empfinden - schwierig. Warum sollte ich jeden Tag aufstehen und mich diesen Schmerzen aussetzen? Warum muss ich meine Familie damit belasten? Wäre es nicht besser, wenn ich einfach weg wäre? Ja, diese Gedanken sind erschreckend, aber sie sind leider durch Depressionen in meinen Kopf.
Aber wisst ihr, was das Gute ist? Ich weiß das. Ich weiß, dass diese Gedanken nicht meine sind. Ich weiß, dass eine andere Zeit kommen wird, in der ich wieder gesund bin. Und ich weiß, dass es sich lohnt zu kämpfen. Der Weg ist hart. Aber ich werde diesen Weg gehen, den Rest der Chemos durchstehen, die OP und die Bestrahlung und dann werde ich mir ein tolles Leben machen. Ich kann mich nur immer wieder bei den Leuten bedanken, die mich unterstützen und das sind zum größten Teil meine Eltern. Wenn sie nicht wären, wäre ich auch nicht. Außerdem möchte ich auch meinen lieben Martin nicht vergessen - ich danke dir für jedes deiner Worte und Taten! Selbstverständlich auch die vielen anderen Leute, die es durchaus wert sind alle genannt zu werden, dies aber den Rahmen sprengen würde. Den sie drei, die ich genannt habe, sind die wirklich wichtigen Leute und ich danke euch dafür!
Im Moment bin ich auch wegen jedem Scheiß angepieselt, was wahrscheinlich auch an meinem Zustand an sich liegt - dünnhäutig und empfindlich sind gute Beschreibungen. Deswegen seit nicht böse, wenn ich etwas sporadisch auf Twitter uns Co. unterwegs bin. Manchmal sind es doch zu viele Vollidioten in meinen Augen an einem Tag bzw. ich bin zu empfindlich. Von Lichtempfindlichkeit und Geräuschen fangen wir mal nicht an.
Das war es auch schon, reicht ja auch. Ich entschuldige mich für kein Wort, welches ich geschrieben habe, möchte aber sagen, dass kein Grund zur Sorge besteht. Ich bin unter ärztlicher Aufsicht und bleibe trotzdem positiv. Ich wollte euch nur mein persönliches böses Krebsgesicht mal zeigen und es nicht im Verborgenen lassen. Bei jedem Patienten kann sich das anders äußern und dies sind nur meine eigenen subjektiven Erfahrungen. So etwas Negatives werde ich hoffentlich nie wieder schreiben - also bekommt ihr nun eure positive Gwyn zurück, die das Ding schon schaukeln wird. Ich bekomme neue Medikamente, die mich etwas entlasten sollen - also das wird schon! Es gibt ja auch gute Tage, nur sind die momentan leider etwas selten.